Gelingt der Chemiebranche in Deutschland im Jahr 2025 endlich ein Comeback?
Im Prozesstechnik-Portal sprechen Fabian Schmidt, Partner bei Syntra Corporate Finance, und Timo Schmidt, Senior Associate, über die aktuellen M&A-Chancen in der Chemiebranche.
Fabian Schmidt: Wir erwarten eine heterogene Entwicklung. Einerseits dürften insbesondere innovative und international aufgestellte Unternehmen nach mehreren Krisenjahren wieder mit einem moderaten Wachstum rechnen. Andererseits bleibt die Situation für viele Unternehmen in der Branche schwierig. Die anhaltende Auftragsflaute führt zu einer unzureichenden Anlagenauslastung, was die Lage vieler Unternehmen erschwert. Insgesamt jedoch zeichnet sich eine Stabilisierung ab – vor allem, weil der dramatische Abwärtstrend der vergangenen Jahre gebremst ist.
Viele Unternehmen in der Branche stehen aufgrund der hohen Energiekosten, sinkender Nachfrage aber auch aufgrund der steigenden regulatorischen Anforderungen unter Druck.
Wie wirkt sich die aktuelle Industriekonjunktur auf das M&A-Geschehen in der Branche aus?
Fabian Schmidt: Die aktuelle Industriekonjunktur wirkt als Katalysator. Hohe Energiekosten und regulatorische Anforderungen zwingen viele Unternehmen zu einer strategischen Neuausrichtung. Das schafft sowohl Konsolidierungsdruck als auch Akquisitionschancen. Darüber hinaus haben viele Unternehmen in den letzten Jahren Kostensenkungsinitiativen auf den Weg gebracht, die jetzt Wirkung zeigen. Und auch das verringerte Inflationsrisiko dürfte bei vielen Unternehmen Ergebnisverbesserungen erleichtern.
Timo Schmidt: Das Jahr 2025 verspricht also relativ günstige Umstände für M&A-Transaktionen, vor allem für mittelständische Chemieunternehmen. Die Stabilisierung der Zinsen, klarere politische Rahmenbedingungen nach der Bundestagswahl und anstehende Nachfolgeregelungen beleben die Transaktionsaktivitäten. Der Fokus liegt dabei vermehrt auf strategischen Übernahmen zur Portfoliooptimierung und zur Erschließung internationaler Wachstumsmärkte, auch außerhalb Europas.
Worauf müssen mittelständische Unternehmen bei Unternehmensverkäufen oder -übernahmen in der jetzigen Situation besonders achten?
Fabian Schmidt: Die vergangenen Jahre waren volatil, daher sind eine transparente Darstellung der Geschäftsentwicklung und eine nachvollziehbare Planung sehr wichtig. Unternehmen sollten frühzeitig ihre Prozesse professionalisieren und digitalisieren, denn das wird häufig mit höheren Bewertungen honoriert. Auch eine klare strategische Ausrichtung und Marktpositionierung des Unternehmens sind wichtige Voraussetzungen für erfolgreiche Transaktionen. In Bezug auf die Transaktion selbst sind ein realistischer Zeitplan, eine gründliche Vorbereitung und realistische Erwartungen erfolgsentscheidend. Angesichts der Unsicherheiten im Markt empfiehlt sich zudem eine professionelle Begleitung durch M&A-Experten, die sowohl die branchenspezifischen Herausforderungen als auch die besonderen Anforderungen des Mittelstands verstehen.
Wie unterscheidet sich der M&A-Prozess für familiengeführte Unternehmen von dem großer Konzerne?
Timo Schmidt: Die methodischen Grundlagen sind in beiden Fällen ähnlich, aber die inhaltlichen Ausprägungen und Fragestellungen unterscheiden sich deutlich. Familienunternehmen legen typischerweise großen Wert auf kulturelle Passung und langfristige Perspektiven. Natürlich sind auch Finanzkennzahlen wichtig, aber nicht allein entscheidend. Dies kann in manchen Fällen eine Hürde für Shareholder-value- oder renditeorientierte Investoren darstellen. Zudem sind die emotionalen Aspekte eines Verkaufs bei einem hohen persönlichen Engagement der Unternehmerfamilie nur schwer völlig ausblendbar. Familienunternehmen sind es gewohnt, Herausforderungen aus eigener Kraft zu stemmen. Die Grenze dieses Ansatzes findet sich häufig im Verkaufsprozess, der für die meisten Unternehmerfamilien ein nicht erprobter Einzelfall ist. In Konzernstrukturen sind M&A-Transaktionen dagegen an der Tagesordnung.
Welche Fehler sollten Unternehmer bei der Vorbereitung auf einen Verkauf vermeiden?
Fabian Schmidt: Der größte Fehler beim Unternehmensverkauf liegt in unrealistischen Preisvorstellungen. Viele Verkäufer lehnen sich an theoretische Bewertungsverfahren an, die den wahren Marktwert ihres Unternehmens überschätzen. Gleichzeitig unterschätzen sie den zeitlichen Vorlauf bis zum Abschluss der Transaktion.
Timo Schmidt: Weitere kritische Elemente im Unternehmen selbst umfassen mangelnde Digitalisierung, unzureichende Dokumentation von Prozessen und Kundenbeziehungen sowie eine Führungsstruktur, die stark auf einzelne Personen zugeschnitten ist. Ein Unternehmen, das heute noch nicht verkaufsbereit erscheint, kann jedoch bei richtiger Vorbereitung innerhalb von ein bis drei Jahren zu einem attraktiven Verkaufsobjekt entwickelt werden. Das Verkaufsvorhaben frühzeitig zu thematisieren und sich externe Unterstützung zu holen, lohnt sich also.
Wie schätzten Sie die Unternehmensbewertungen für Anlagenbauer in der aktuellen Marktlage ein?
Fabian Schmidt: Etwa ein Drittel der Unternehmen im deutschen Maschinen- und Anlagenbau schätzt die eigene Lage als schlecht oder sehr schlecht ein. Das drückt sich auch in niedrigeren Bewertungen für Anlagenbauer aus. Wir erwarten keine substanzielle Erholung vor Ende des Jahres 2025. Diese schwierigen Marktbedingungen spiegeln sich in vorsichtigeren Bewertungsansätzen und höheren Risikoabschlägen wider.
Welche Schlüsselfaktoren beeinflussen den Unternehmenswert in dieser Industrie besonders stark? Welche Rolle spielen Nachhaltigkeit und ESG-Kriterien?
Timo Schmidt: Zu den zentralen Werttreibern zählen neben den klassischen Finanzkennzahlen zunehmend Faktoren wie Innovationskraft, Digitalisierungsgrad und internationale Marktpräsenz. Auch Nachhaltigkeit und ESG-Kriterien gewinnen rapide an Bedeutung, da sie Compliance-Risiken sowie die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens beeinflussen. Unternehmen mit fortschrittlichen Nachhaltigkeitskonzepten und kleinem CO2-Fußabdruck können inzwischen Bewertungsprämien erzielen, während mangelnde ESG-Performance zu erheblichen Abschlägen führen kann. Dieser Trend wird sich in den kommenden Jahren verstärken, da die Regulierung Finanzinvestoren zunehmend drängt, in nachhaltige und ESG-konforme Unternehmen zu investieren.
Den Originalbeitrag des Prozesstechnik-Portals vom 29.04.2025 finden Sie hier.