VC Magazin: Wie erleben Sie die Themen Nachhaltigkeit und Dekarbonisierung in Ihrer M&A-Praxis?
Seip: Das Geschäftsmodell auf Nachhaltigkeit auszurichten ist aktuell ein relevanter Treiber – dabei spielt der Zeitfaktor eine große Rolle. Es bleiben keine fünf oder sieben Jahre für Nachhaltigkeit – das muss am besten heute passieren. Das Thema ist daher für M&A prädestiniert, da dies die schnellste Lösung zur Umsetzung ist. Im letzten Jahr haben wir zahlreiche Transaktionen mit unmittelbarem Zusammenhang zu Energiewende oder Dekarbonisierung erfolgreich begleitet. Aktuell ordnen wir bis zu 25% unserer Sell-Side-Projekte diesen Segmenten zu – ein erheblicher Anteil mit steigender Tendenz. Nachhaltigkeit ist neben Digitalisierung der große Faktor, der unser Geschäft beeinflusst. Gerade die politischen Entscheidungen in puncto Wärmegewinnung – Stichwort Viessmann – heizen das Thema weiter an.
VC Magazin: Wie bewerten Sie die Verkaufsentscheidung von Viessmann und welche Effekte gehen für M&A daraus hervor?
Seip: Die Frage ist, warum ein deutschlandweites Vorzeigefamilienunternehmen einen solchen Schritt unternimmt. Es ist Sinnbild für viele Unternehmen, die einerseits von Megatrends profitieren, andererseits durch politische Entscheidungen und gestiegenen Transformationsdruck um ihre Wettbewerbsfähigkeit
gegenüber ausländischen Anbietern fürchten. Die Folge: eine starke Motivation für schnelle Veränderungen, die sich organisch und aus eigener Kraft kaum bewältigen lassen. Dadurch rückt M&A noch stärker in den Fokus. Besonders im Bau- und Handwerksbereich nehmen Transaktionen zu, denn diese setzen die Energiewende letztlich um. Wir bekommen quasi täglich neue Kaufgesuche und haben viele Anfragen von Verkäufern, die mit einer Konsolidierung die eigene Wettbewerbsfähigkeit erhöhen möchten.
VC Magazin: Wie beeinflusst der Boom um erneuerbare Energien und Einsparung das Preisniveau bei M&A-Transaktionen in diesem Segment?
Seip: Nachhaltigkeit ist ein klarer Preistreiber. Die gesamte Wertschöpfungskette rund um erneuerbare Energien – von Herstellung über Dienstleistung bis Handel – ist stark betroffen. Vor fünf Jahren wurden für Unternehmen im Bereich Gebäudeinstallation noch EBITDA-Multiplikatoren von vier bis fünf aufgerufen. Das hat sich komplett gedreht! Bei exzellenten Auftragsbeständen sind wir mittlerweile fast im zweistelligen Bereich angekommen – bei gleichzeitig deutlich verbesserter Ertragslage. Und der Wettbewerb ist gigantisch. Ebenso bringen hohe Nachhaltigkeitsscores Preisaufschläge, fehlende ESG-Strategien sorgen für Abschläge. ESG wird für Finanzinvestoren ein immer wichtigeres Kriterium. Ein kluger Investor profitiert dabei von einem Arbitrageeffekt:
Bei niedrigem Einkaufspreis und guter Portfoliointegration ist die ESG-konforme Unternehmensaufstellung ein beachtlicher
Werthebel – allein, um durch den ESGStempel den späteren Verkaufspreis um bis zu zwei EBITDA-Multiplikatoren höher anzusetzen.
VC Magazin: Welche Technologien und Geschäftsmodelle sind aktuell besonders gefragt?
Seip: Solar- und Windenergie liegen klar im Trend. Unsere Mandanten kommen unter anderem aus den Bereichen Maschinen- und Anlagenbau, Elektrotechnik und Chemie, mit Spezialisierung auf Kernkomponenten von Solar- und Windkraftanlagen. Auch in Branchen, die durch explodierte Energiepreise vor große Probleme gestellt wurden, finden sich Hidden Champions, für die wir am Markt eine hohe Nachfrage erzielen. Ebenso stößt alles rund
um Wärmepumpen, Energiespeicherung, Elektromobilität und die dafür notwendige Infrastruktur auf hohes Interesse. Hier sieht man wieder die politischen Einflüsse: Die Autoindustrie hatte viel Zeit für die Transformation, Heizungshersteller sollen sich von heute auf morgen umstellen. Sie sind damit fast schon zu einer M&A-Transaktion gezwungen, um langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben.
VC Magazin: Wen sehen Sie verstärkt auf der Käuferseite? Strategen, Finanzinvestoren,
andere Gruppierungen?
Seip: Seit Längerem schlägt die Stunde der Strategen. Die Wirtschaftlichkeit einer Transaktion hängt stärker vom Zugang zu
neuen Technologien, Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit oder dem Ausbau des Produktportfolios ab. Die Rendite spielt eine untergeordnete Rolle, das wirkt sich auf die Zahlungsbereitschaft aus. Finanzinvestoren mussten sich zunächst auf die veränderten Finanzierungsbedingungen einstellen. Gibt es Anknüpfungspunkte zu bestehenden Beteiligungen, dann treten auch sie wie Strategen auf. Beide Seiten nutzen dabei Synergieeffekte. Typische Strategen sind aktuell Marktteilnehmer, die sich erweitern möchten, um zum Beispiel Kunden aus einer Hand mehr Leistung zu bieten.
VC Magazin: Was sind die derzeit für Verkäufer dominierenden Gründe, sich vom aufgebauten Unternehmen zu trennen?
Seip: Früher gab es vor allem altersbedingte Nachfolgen mit einem Durchschnittsalter von Anfang 60 – das wandelt sich. Aktuell wollen immer mehr jüngere Unternehmer in den 50ern ihre Nachfolge regeln. Ein Grund ist das derzeit passende Timing für einen exzellenten Preis. Ein weiterer ist, die Nachhaltigkeitskomponente ins Unternehmen zu holen. Kleinere Unternehmen müssen sich hierfür oftmals einem Verbund anschließen. Zudem möchten Unternehmer zunehmend Verantwortung abgeben. Sie fühlen sich alleingelassen und überfordert angesichts von Fachkräftemangel und Mitarbeiterkultur. Die Pandemie hat hier viel aufgewirbelt, was nicht mehr zum unternehmerischen Selbstverständnis passt. Ein klassischer Mittelständler tut sich ohne geeigneten Partner oftmals schwer. Zudem stellen sich Unternehmer heute öfter und früher die Sinnfrage: Ist das Unternehmertum das Einzige, was man im Leben erreichen will? Diese Zahl nimmt drastisch zu. Keine Einzelfälle sind Unternehmer mit Erschöpfungssyndromen oder solche, die ihr Unternehmen impulsgetrieben zum Verkauf stellen. Der Verkaufswunsch ist dann nicht immer nachhaltig. Schwächt sich der Impuls ab, kommt es zum Abbruch.
Leidtragende sind neben den Prozessbeteiligten allen voran die Investoren, die viel Zeit und Geld in die Due Diligence gesteckt haben. Und letztlich führen auch
die geringe Planbarkeit durch die Politik sowie externe Faktoren wie Pandemie oder Krieg zu Unsicherheiten und mehr Druck.
VC Magazin: Welche Formen der Transaktion
dominieren?
Seip: Mehrheitlich geht es bei den Strategen um Übernahmen. Bei Finanzinvestoren ist ein Rückbeteiligungsangebot an den Unternehmer ein Standardelement. Wir sehen auch Stufenmodelle mit klarem Zeitplan und Regeln, welche Anteile wann und zu welchem Preis veräußert werden. Das ist für viele interessant, die unsicher über den Bewertungszeitpunkt sind, denn der Unternehmer verkauft sein Lebenswerk und wird wohl kein zweites auf die Beine stellen. Für diese Verkäufer sind Stufenmodelle sehr beruhigend, vor allem, wenn Finanzinvestoren sich aktiv an der Entwicklung beteiligen. Auch für Strategen sind Minderheitsbeteiligungen spannend, um Faktoren wie Lieferfähigkeit oder Synergieeffekte abzustecken. Große Familienunternehmen sind oft maximal für eine Minderheitsbeteiligung bereit, um den bestehenden Gesellschafterkreis zu verändern oder zu erweitern.
VC Magazin: Mit welchen Gefühlen blicken Sie in Bezug auf Energieeinsparung und Versorgungssicherheit in die Zukunft?
Seip: Mir geben einerseits die politischen Hauruck-Entscheidungen zu denken. Das fordert Bürger wie Unternehmen gleichermaßen. Andererseits können wir beim Klimawandel nicht um Aufschub bitten. Energieerzeugung, -einsparung und -speicherung werden zu Kerntechnologien. Gleichzeitig droht das Risiko, dass deutsche Anbieter in diesen Branchen den Anschluss verlieren und durch Anbieter mit einem weiteren Entwicklungsstand aus Asien und den USA ersetzt werden. Ich habe mit Blick in die Zukunft gemischte, aber insgesamt positive Gefühle – schließlich profitiert der M&A-Markt von der Transformation.
VC Magazin: Vielen Dank für das Gespräch.
Ein Interview mit Patrick Seip, Managing Director bei Syntra Corporate Finance.
Dieses Interview wurde von Janine Heidenfelder, Chefredakteurin VentureCapital Magazin, verfasst und veröffentlicht.