Kauflaune im Mittelstand: Chemiefirmen zum Schnäppchenpreis?

Die Krise der Chemie hat deutliche Spuren hinterlassen. Der Margendruck führt insbesondere im Mittelstand zu erheblichem Konsolidierungsdruck – ein Anstieg der Fusionen und Übernahmen könnte die Folge sein. Dazu kommen regulatorische Anforderungen sowie ESG- und Nachhaltigkeitskriterien.
24.07.2025

Die deutsche Chemieindustrie stand in den vergangenen Jahren im Gegenwind: Geopolitische Unsicherheiten und Handelskonflikte trafen mit volatilen Rohstoffpreisen, steigenden regulatorischen Anforderungen und einer anhaltenden Nachfrageschwäche zusammen. Die Folgen: Produktions- und Umsatzrückgänge. Der Abschwung hat viele Unternehmen gezwungen, Sparprogramme aufzulegen und unprofitable Geschäftsbereiche zu restrukturieren.

Dabei hat die Krise nicht nur die Chemieunternehmen aufgerüttelt: Auch der M&A-Markt spürt den Konsolidierungsdruck. Große wie mittlere Unternehmen nutzen die Situation, um durch Fusionen und Verkäufe ihre Bilanzen zu stärken und ihre Portfolios zu arrondieren. Käufer wollen ihre Marktposition sichern und durch gezielte Akquisitionen Synergien erzielen. Dabei hat sich der mittelständische M&A-Markt noch nicht ganz von den krisengeplagten letzten Jahren erholt.

Die volatile Marktsituation setzt die Bewertungen von Chemieunternehmen unter Druck. Dazu kommt, dass Kaufverhandlungen zunehmend länger dauern und die obligatorischen Sorgfaltsprüfungen aufwändiger werden. Dennoch gibt es gute Gründe anzunehmen, dass der M&A-Markt für Chemieunternehmen sich in den nächsten Jahren erholen wird.

Aktive Käufergruppen in der Branche

Denn die Situation birgt auch Chancen für den Mittelstand: So können solide Unternehmen mit innovativen Produkten und flexiblen Strukturen Wachstumschancen nutzen und den Wettbewerbsvorsprung ausbauen. Das steigert auch ihre Attraktivität als Kaufobjekte für strategische Investoren, zu denen etwa Industrieunternehmen und Konzerne gehören. Diese nutzen Unternehmenszukäufe, um ihre Marktposition zu stärken und Lücken in ihrem Portfolio zu schließen.

Dadurch erhalten sie Zugang zu spezifischen Technologien oder Marktsegmenten, wie Spezialchemikalien oder erneuerbare Energien. Auch der Wettbewerb in der Branche steigert das Interesse der Strategen an Zukäufen, mit denen sich Synergien und Skaleneffekte erzielen lassen.

Finanzinvestoren aus dem Private-Equity-Bereich verfolgen ähnliche Ziele, haben aber eine andere Ausrichtung: Sie halten Beteiligungen nur für einige Jahre und verkaufen sie dann gewinnbringend. Entsprechend erkennen sie in mittelständischen Unternehmen nicht nur Restrukturierungspotenziale, sondern auch Wachstumschancen. Daher arbeiten die Finanzinvestoren vor allem an operativen Verbesserungen und Effizienzsteigerungen – die je nach Unternehmen unterschiedlichen Erfolgsaussichten für ein solches Programm führen dabei zu einer weiten Bandbreite an Bewertungen.

Was interessiert Investoren in der Chemie?

Obwohl Private-Equity-Investoren im deutschen M&A-Markt weniger präsent sind als in anderen Ländern, gewinnen ihre Strategien an Bedeutung. Hinzu kommt, dass immer mehr Familienunternehmer aufgrund fehlender Nachfolgeregelungen an Finanzinvestoren verkaufen. Der Anteil an Verkäufen unter ausländischer Beteiligung wächst, weil die heimische Industrie besonderen Schwierigkeiten ausgesetzt ist – er ist aber auch Ausdruck der Tatsache, dass internationale Unternehmen heimischen KMUs einen hohen strategischen Wert zumessen. Gerade außereuropäische Käufer sind zudem durch den Wunsch nach Diversifizierung und einem verbesserten Marktzugang motiviert. Weil diese Gründe weiter bestehen, dürfte sich der Trend zu mehr grenzüberschreitenden Transaktionen fortsetzen.

Neben betriebswirtschaftlichen Erwägungen beeinflussen die regulatorischen Anforderungen die M&A-Aktivitäten in der Chemiebranche. Unternehmen müssen sich nicht nur auf klassische Finanzkennzahlen konzentrieren, sondern auch ihre Umweltbilanz, soziale Verantwortung und gute Unternehmensführung steuern. Diese Kriterien werden zunehmend auch zur Bewertung von Unternehmen herangezogen. Investoren sind bereit, für Unternehmen mit überzeugender Nachhaltigkeitsstrategie einen Aufpreis zu zahlen.

Der gestiegene Wert einer ESG-Bilanz führt dazu, dass bei Transaktionen der Anspruch an die Transparenz und Genauigkeit der Berichterstattung – und damit auch der Aufwand für die Sorgfaltsprüfung – steigt. Dieser Trend zu genaueren Prüfungen wird sich in den kommenden Jahren verstärken, weil der Regulator Finanzinvestoren zunehmend in ESG-konforme Unternehmen steuert.

Gründliche Vorbereitung ist entscheidend

Unternehmensverkäufe sind eine komplexe Angelegenheit und erfordern eine gründliche Vorbereitung. Diese beginnt oft schon Jahre vor der eigentlichen Transaktion und dient der Herstellung der „Exit readiness“. Damit ist gemeint, dass das Unternehmen in seiner rechtlichen Struktur und seinen betrieblichen Abläufen so aufgestellt wird, dass es ein anderer Gesellschafter problemlos übernehmen kann. Bei mittelständischen Einheiten sollten beispielsweise Holdingstrukturen eingezogen werden und schenkungsrechtliche Fragen geklärt werden.

Sind die strukturellen Voraussetzungen geschaffen, so genügen meist einige Wochen bis Monate, um die Informationsbasis für einen gut organisierten Verkaufsprozess zu schaffen. Dieser wird in der Regel auf Käufer- und Verkäuferseite von einem M&A-Berater begleitet, der alle notwendigen Maßnahmen umsetzt und die Gesellschafter durch den Prozess führt.

Gerade bei mittelständischen Unternehmen wird dabei oft übersehen, dass der Verkauf des Lebenswerks oder des Familienunternehmens eine starke menschliche Komponente in sich trägt, die bei M&A-Transaktionen unter Großkonzernen fehlt. Entsprechend bedeutsam sind daher die Begleitung der Verkäufer und die Vorbereitung auf die anstehenden Entscheidungen im Prozess. Die emotionale Bindung der Gesellschafter zum Unternehmen führt in vielen Fällen auch dazu, dass die Bewertung des Unternehmens nicht nur von objektiven Kriterien geleitet wird, sondern auch von der persönlichen Erwartungshaltung der Verkäufer abhängt. Hier sind eine Abklärung der kommerziellen Vorstellungen und eine realistische Bewertungseinschätzung durch den M&A-Berater notwendig.

Die Kernfrage beim M&A: Stimmt der Preis?

Bleiben dennoch deutliche Unterschiede in den Preisvorstellungen zwischen Käufer und Verkäufer bestehen, kann die Differenz in vielen Fällen mit einem so genannten Earn-Out überbrückt werden. Dabei erhält der Verkäufer nach Abschluss der Transaktion eine oder mehrere zusätzliche Zahlungen, deren Höhe von der Performance des Unternehmens nach dem Kauf abhängt. Auf diese Weise kann das Risiko gleichmäßiger über die Parteien verteilt und dem Käufer die Finanzierung erleichtert werden. Bedingt durch die Marktvolatilität hat der Anteil an Earn-out-Strukturen über die vergangenen fünf Jahre zugenommen und ist heute Gegenstand in jeder dritten Transaktion – ein klares Zeichen für die Anpassungsfähigkeit des M&A-Markts auch in herausfordernden Zeiten.

Ein Beitrag von Fabian Schmidt und Timo Schmidt. Im Original erschienen bei PROCESS. Hier gelangen Sie zum Artikel